Die rohstoffarme Schweiz ist sehr reich – an Wasser. Wussten Sie, dass die Fläche unseres Landes nur vier Promille des Kontinents ausmacht, dass aber in unseren Böden sechs Prozent der Süsswasservorräte Europas liegen? Nicht umsonst nennt man die Eidgenossenschaft das «Wasserschloss Europas», entspringen in den Alpen doch auch die wichtigsten Flüsse des Kontinents. Das Elixier, das heute so selbstverständlich und kaum wahrnehmbar als Trinkwasser aus der Leitung zuhause fliesst – es war in früheren Zeiten nur mit grossem Aufwand und mithilfe einer komplexen Infrastruktur zu gewinnen. Und es war lebenswichtig für die Entwicklung der Städte, des Handwerks und der Industrie. Kein Wunder also, dass wir in der Schweiz über ein reiches bauliches Erbe an Brunnen und Wasserspielen verfügen, die vor allem in der Frühen Neuzeit zu einer Blüte und grossen künstlerischen Vielfalt führten – wobei diese Kleinarchitekturen als Symbole der Macht und städtischen Reichtums strahlten und bis heute ein Anziehungspunkt für Touristenströme sind.
Begleiten Sie uns in diesem Themenheft auf eine Reise in den «Untergrund», wenn es darum geht, die verborgene Wasserinfrastruktur einer mittelalterlichen Stadt kennenzulernen. Oder verfolgen Sie die Geschichten hinter den reich ausgestatteten Figurenbrunnen in verschiedenen Städten der Deutschschweiz und der Romandie.
Schliesslich sind auch die zeitgenössischen Künstlerbrunnen bemerkenswert, erfreuen sich doch diese Objekte grosser Beliebtheit im öffentlichen Raum und sind in Städten wie Basel oder Bern beliebte Treffpunkte für die Bevölkerung.
Essay | Essai | Saggio
Axel Christoph Gampp
Wasserfälle als Wasserspiele
Eine kulturgeschichtliche Entwicklung mit Schweizer Zutaten
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag zeichnet eine Entwicklung nach, die vom Barock bis in die Gegenwart reicht und in deren Zentrum der Wasserfall steht. Er wird zunächst aus der Natur in den Garten verpflanzt und bekommt in seiner künstlichen Form einen inhaltlichen Bedeutungszuwachs. Ein veränderter Blick auf die Natur ab dem frühen 18. Jahrhundert rückt die natürlichen Wasserfälle, namentlich jene der Schweiz, ins Zentrum des Blicks und vor allem der mit dem Sehen verbundenen Empfindungen. Aus dem Bedürfnis heraus, sich an diesen Empfindungen möglichst dauerhaft erfreuen zu können, wird der Wasserfall in einer scheinbar natürlicheren Form wieder in die Gärten zurückverpflanzt, nun in einer häufigen Verbindung mit Kunstfelsen und Schweizerhaus. Diese Verbindung wird derartig kanonisch, dass am Ende auch die freie Natur ins Schema hineingezwängt wird, wie der Fall des Giessbach belegt. An allen Entwicklungsstufen waren Schweizer massgeblich beteiligt. Das Verhältnis von Natur und Architektur ist selten so eng wie beim Umgang des Menschen mit dem Wasserfall, den er gerne zum Wasserspiel transformiert.
Dossier 1
Simon Baur
Altes Wasser in neuen Schläuchen
Zeitgenössische Künstlerbrunnen erfreuen sich grosser Beliebtheit
Zusammenfassung
Künstlerbrunnen sind ein spezifischer Aspekt der Kunst im öffentlichen Raum. Ihr Aussehen, ihre Gestaltung und die Möglichkeit, sich den Konventionen des Brunnens zu widersetzen, machen sie zu Besuchermagneten, ermöglichen Kindern einen Badeplausch, beleben Plätze durch ihre Gegenwart und sorgen – wie die Beispiele der Brunnen von Meret Oppenheim und Roman Signer zeigen – hin und wieder für hitzige Diskussionen. Auch wenn sie ganz bewusst Algen und Moose ansetzen und Gebrauchs- und Altersspuren sichtbar sein dürfen, wie dies am Beispiel von Katja Schenker zu erkennen ist, müssen sie betreut und gewartet werden. Dies verlangt von den städtischen Behörden besondere Aufmerksamkeit und es wäre zu wünschen, dass es mehr solcher Künstlerbrunnen gibt. Denn sie sind gute Beispiele einer möglichen Verschränkung von Kunst und Alltag, von Gebrauchsgegenstand und Ästhetik. Hinzu kommt, dass sie es den Besuchern einfach machen, man kann sich ihnen ungezwungener annähern als Kunstwerken in Museen.
Dossier 2
Tiziana Andreani
Les fontaines néoclassiques veveysannes
L’égyptomanie de Michel-Vincent Brandoin
Zusammenfassung
Die klassizistischen Brunnen von Vevey
Die zwei zwischen 1772 und 1778 vom Künstler Michel-Vincent Brandoin in klassizistischem Stil entworfenen und vom Steinmetz Jean-François Doret aus Vevey geschaffenen Brunnen zeichnen sich insbesondere durch ägyptisierende Ornamente aus. Diese erlauben die Zuschreibung eines weiteren Brunnens in Lausanne zu Brandoins Werk. Die Ägyptomanie dieses Künstlers widerspiegelt seine Kenntnisse und seine Meisterschaft des künstlerischen Schaffens ausserhalb der Landesgrenzen. Nach seiner Ausbildung und mehreren Aufenthalten in europäischen Grossstädten gelingt es Michel-Vincent Brandoin, die Bildhauerei im Genfersee-Gebiet mit neuen Formen und Ornamenten zu bereichern. Während die ägyptischen Elemente nach dem Tod des Künstlers aus dem Waadtländer Formenrepertoire verschwanden, stand dem Brunnentypus mit einem von einer Urne gekrönten Obelisken noch eine grosse Zukunft bevor.
Interview | Interview | Intervista
Mascha Bisping
Den Orten Identität verleihen
Christian Stauffenegger über die ästhetische und symbolische Bedeutung von Wasser in der Stadt, die Entwicklung der Wasserspiele vor dem Bundeshaus und die guten Gründe dafür, warum bei der Gestaltung des öffentlichen Raums Zurückhaltung meist besser ankommt als grosse Gesten.
Dossier 3
Simona Martinoli
Piacevole stupore
Le fontane di Pierino Selmoni
Zusammenfassung
Die Brunnen von Pierino Selmoni
Das Thema des Brunnens wurzelt tief im Wesen des Tessiner Bildhauers Pierino Selmoni (*1927), der stets eine meisterhafte Beherrschung der verschiedenen Techniken mit unterschiedlichsten Materialien – verbunden mit einer ausgeprägten Expressivität – bewiesen hat. Seine Kreativität hat zu überraschenden und originellen Resultaten geführt: von den spielerischen Brunnen der 1960er Jahre für öffentliche Bauten, die in Zusammenarbeit mit den Architekten Dolf Schnebli und Hans Peter Baur entstanden sind, bis hin zu Werken wie der Fontana mobile für die Hauptpost in Bellinzona (1985) oder der jüngeren Fontana Primavera für das Trio-Quartier in Dietikon (2008), die ihre Erscheinung und Farbe je nach Lichteinfall wechselt.
Interview | Interview | Intervista
Michael Leuenberger
Kunst und Architektur – eine Einheit
Drei Fragen an den Architekten Hans Peter Baur
Dossier 4
Benno Schubiger
Die Renaissance-Figurenbrunnen in Solothurn
Wasser in einer Schweizer Kleinstadt zur Neuzeit
Zusammenfassung
Die Gassen der wohl erhaltenen Solothurner Altstadt zieren fünf Brunnen, die 1548 bis 1588, also während genau vierzig Jahren, entstanden waren. Sie wurden aus hölzernen Dünkelleitungen mit Wasser aus Quellen nördlich der Stadt gespeist. Bunt gefasste Brunnensäulen und –figuren bilden heute wie damals einen künstlerischen Anziehungspunkt und markieren die elementare Bedeutung des Trinkwassers für die städtische Bevölkerung zu einem Zeitpunkt, da das Trinkwasser noch am öffentlichen Brunnen bezogen werden musste. Als Schöpfer dieser manieristischen Skulpturen zogen die Stadtbehörden spezialisierte Bildhauer aus Neuenburg und Freiburg bei, nämlich Laurent Perroud und sein Sohn Jacques sowie Hans Gieng. Im spätern 18. Jahrhundert ersetzte man die ursprünglichen Brunnenbecken aus zusammengefügten Steinplatten durch monolithische Tröge in den zeitgemässen Formen des Louis-XVI-Stils und entwickelte damit auch ein Produkt, dass sich im 19. Jahrhundert zu einem Exportschlager in andere Schweizer Städte entwickelte.
Dossier 5
Isabelle Brunier
Les fontaines urbaines de Genève
Une histoire d’eau, pas toujours claire !
Zusammenfassung
Die Stadtbrunnen von Genf
Die Genfer Brunnen haben eine lange, bis ins Mittelalter zurückreichende Geschichte. Der älteste Typus mit oktogonalem Becken und zentralem Stock verbreitete sich vor allem in seiner klassischen, vom bretonischen Architekten Joseph Abeille zu Beginn des 18. Jahrhunderts eingeführten Version. Den bis anhin durch Quellfassungen gespeisten Brunnen wurde das Wasser ungefähr ab 1710 mittels eines vom gleichen Abeille konstruierten hydraulischen Pumpsystems zugeführt. Mit der schrittweisen technischen Erneuerung konnte das Verteilnetz ausgebaut werden, wodurch während des 19. Jahrhunderts neue Wasserstellen unterschiedlichster Konstruktion und Stilrichtung bis hin zu einfachen Zapfsäulen entstanden. Mit dem Bau eines neuen Elektrizitätswerks kamen immer mehr Wohnungen in den Genuss eines eigenen Wasseranschlusses, wodurch der Gang zum Brunnen überflüssig wurde. Die erhaltenen Exemplare erlangten nun den Status von Denkmälern und verschönern und beleben mit ihrer Präsenz und ihren Geräuschen weiterhin das Stadtbild.
Dossier 6
Armand Baeriswyl
Wie der Chindlifresser zu seinem Wasser kam
Trinkwasserversorgung und Speisung der Brunnen in der Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit am Beispiel von Bern
Zusammenfassung
Mit der Stadtgründungswelle zwischen 1150 und 1350 entstand eine grosse Zahl von neuen Orten, an denen viele Menschen auf engem Raum zusammen lebten. Eine wichtige Rolle für funktionierende Städte spielte der Aufbau einer Infrastruktur, vor allem zur Versorgung mit Trinkwasser durch Brunnen, die gleichzeitig Symbole städtischer Macht und städtischen Reichtums waren. Am Beispiel Bern kann diese Infrastruktur, das entsprechende Management der Trinkwasserversorgung und die Speisung der Brunnen exemplarisch vorgestellt werden.
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Billet du président
Von Tradition, Innovation und von Werten
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Public diplomacy im Sinne des Kulturerbes der Schweiz
Eine Rückschau auf die Jahresversammlung in Solothurn
Die Aarestadt Solothurn war Schauplatz der diesjährigen Jahresversammlung der GSK. Die Generalversammlung stand unter der kundigen Leitung von Benno Schubiger, dem Präsidenten der GSK. Eine Zusammenfassung des Tages.
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Zum Tod von Prof. Dr. Andreas Tönnesmann (1953–2014)
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Preis: CHF 25.00
Preis für GSK Mitglieder: CHF 20.00
Abbildungen: 124
Seitenzahl: 80
Reihe: Kunst + Architektur
Orte / Gemeinden: Schweiz / Suisse / Svizzera
Autoren: Diverse
Artikelnummer: K+A 2014.2
Inhaltssprache: Deutsch, Französisch, Italienisch
Erscheinungsdatum: 30.06.2014
ISBN: 978-3-03797-129-1
Verlag: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte