k+a 2015.3: «Bauen im Bestand»

Editorial
Michael Leuenberger
Bauen im Bestand
«Bauen im Bestand ist ein permanenter Erkenntnisprozess », sagt Architekt Emanuel Christ im Gespräch mit k + a in dieser Ausgabe. Er spricht damit eine der zentralen Erfahrungen bei dem fast fünfzehn Jahre dauernden Umbau und der Erweiterung des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich an, die 2016 ihren (vorläufigen) Abschluss finden. Ganz in diesem Sinne haben unsere Autoren kontrovers gedacht und den Bogen weit gespannt: von den Folgen der totalen Kommerzialisierung des Raumes in der Megalopolis von heute bis hin zur Schaffung eines Mehrwerts für Gemeinschaften in ländlichen Gebieten, wie es der «konkrete Utopist» Gion A. Caminada fordert. Aber auch die Hintergründe und Metamorphosen ausgewählter Bauten und Stadtensembles – der Opéra de Lausanne, des alten Gotthardhospizes, der Altstadt von Zürich – werden aufgearbeitet. Wobei man sich bei manchen Bauten durchaus die Frage stellen kann, bis zu welchem Grad ein zwanghaft inszenierter Modernismus, der Altes mit Neuem zu verbinden versucht, nur dem Ego von Planern und Architekten, aber nicht wirklich dem historisch Gewachsenen gerecht wird. Es sind Fragen rund um Ästhetik, Geschichte und Baukultur – und den richtigen Umgang mit allen drei. Ein Schlüssel zu ihrem Verständnis dürfte die von Emanuel Christ geforderte «empathische Entwurfsarbeit» des Architekten sein.

 

Essay | Essai | Saggio
Salvatore Settis
Mimare le megalopoli
I confini difficili fra città e paesaggio e il recupero della dimensione sociale e comunitaria della cittadinanza

Zusammenfassung
Die Nachahmung der Megalopolis
Die Perspektive des Diskurses über die Rolle der Landschaft und der Städte ist heute zu überdenken – und sie muss sich auf eines fokussieren: die Organisation und Kommerzialisierung des Raums. Die wachsenden Agglomerationen verwischen die Grenzen der Städte und ziehen an deren Stelle neue Grenzen in den Städten. Es entstehen dadurch «Grauzonen » und Vorstadtwelten mit gegensätzlichen und komplementären Gebilden, der Favela der Armen und der Gated Community der Reichen. Das Verschwinden der historischen Städte und die Zerstörung der Landschaft konvergieren in der «Stadt der Zukunft», die durch zwei Fetische unserer Zeit definiert wird: die Riesenmetropole und das Hochhaus. Nichts ist davor gefeit. Auch kleine Städte «spielen» Riesenmetropole, auch historische Städte (wie Venedig) und Bergdörfer (wie Vals) werden von völlig unpassenden Wolkenkratzern bedroht. Diesen Prozess versteht man nur, wenn man intensiv über die Form der Gesellschaft nachdenkt, der wir angehören. Die Interpretation der schwierigen Grenzen zwischen Stadt und Landschaft stellt den Versuch dar, den Bürgerinnen und Bürgern die soziale und gemeinschaftliche Dimension zurückzugeben – ein Konzept von Landschaft als Bühne der Demokratie.

 

Dossier 1
Christof Kübler, Inge Beckel
Heimat schafft, wer die Welt des Bekannten erweitert
Zur Architektur des Vriner Architekten Gion Caminada

Zusammenfassung
Betrachtet man die Arbeiten des Vriner Architekten Gion Caminada unter dem Aspekt von «Bauen im Kontext», wird schnell klar, dass sich das Thema bei ihm nicht allein auf das formale und städtebauliche Moment beschränkt. Caminadas Architektur weist zudem über die Summe historischer Bausubstanz hinaus, er interpretiert und bespielt sie neu. «Bauen im Kontext» schliesst für ihn – und dies nicht erst an zweiter Stelle –, soziale und kulturelle Überlegungen mit ein. Caminada will Orte schaffen – für Menschen am Ort und vor Ort. Orte von hoher Qualität als Resultat eines komplexen Beziehungsgeflechts zwischen einer Vielzahl von Akteuren. Denn menschliche Gemeinschaften sind ihm wichtig. Dabei werden diese nicht nur sozial gedacht. Vielmehr sollen die (oft abgelegenen) Orte über den gemeinschaftlichen Einsatz in ihrer (Über-) Lebensfähigkeit gestützt werden.

 

Dossier 2
Léo Biétry
La ville pour théâtre
Genèse et transformations de l’Opéra-théâtre de Lausanne

Zusammenfassung
Eine Bühne für die Stadtentwicklung. Entstehung und Umgestaltungen des Opernhauses von Lausanne
Das 1871 fertiggestellte Casino-Théâtre von Lausanne entstand im Rahmen der Urbanisierung des Gebiets Georgette, die durch eine neue Strassenverbindung zwischen der Place Saint-François und dem Bahnhof initiiert worden war. Das Auswahlverfahren für den Standort erklärt die nicht besonders monumentale Gestaltung des Gebäudes, dessen Höhe durch Dienstbarkeiten eingeschränkt wurde, sowie dessen Lage an einem Strassenrand. Das ursprünglich ausserhalb der Stadt erstellte Bauwerk ist heute Bestandteil eines dicht überbauten städtischen Quartiers. Das Casino-Théâtre wurde zu Beginn der 1930er Jahre durch den Lausanner Architekten Charles Thévenaz erstmals umgebaut und 1932 in Théâtre Municipal umgetauft. Später wurde es zum Opernhaus, nachdem das Musiktheater in den 1980er Jahren vermehrt an Bedeutung gewonnen hatte. Zwischen 2010 und 2012 erfolgte schliesslich erneut ein tiefgreifender Umbau mit namentlich der Vergrösserung und Modernisierung des Bühnenbereichs und der Schaffung eines grosszügigen Proberaums. Hinsichtlich der Planungsbedingungen und der ausgelösten Widerstände erweist sich das Projekt «Sur la scène, dans la ville» der Genfer Architekten Devanthéry und Lamunière heute als durchaus charakteristisch für die Tendenz der städtischen Verdichtung. Die Tatsache, dass sich das Gebäude unablässig neuen Bedürfnissen angepasst hat, macht aus der Oper einen interessanten Zeugen der Entwicklung dieser Stadt und ihrer Art, sich von innen heraus zu erneuern.

 

Interview | Interview | Intervista
Zara Tiefert, Michael Leuenberger
«Bauen im Bestand ist ein permanenter Erkenntnisprozess»
Architekt Emanuel Christ vom Büro Christ & Gantenbein zum Umbau und zur Erweiterung des Landesmuseums in Zürich

Das Basler Architekturbüro Christ & Gantenbein gewann 2002 den international ausgeschriebenen Wettbewerb zur Sanierung und Erweiterung des Landesmuseums in Zürich. Nach 13 Jahren steht der Erweiterungsbau kurz vor seiner Vollendung, 2016 wird er eröffnet. Emanuel Christ spricht mit k + a über die Herausforderungen des Bauens im Bestand, seine über die Jahre an diesem exemplarischen Projekt gewonnenen Erkenntnisse und die Herausforderung, mit einem Gebäude angemessen umzugehen, das selbst schon ein Exponat ist.

 

Fotoessay | Essai photographique | Saggio fotografico
Adrien Barakat

 

Dossier 3
Melchior Fischli
«Möglichst lautlos» oder doch ein bisschen hörbarer?
Hundert Jahre Bauen am Bestand der Zürcher Altstadt

Zusammenfassung
Der Aufsatz illustriert am Beispiel der Zürcher Altstadt einige Positionen des Bauens im Bestand aus den letzten hundert Jahren. Vor allem im Umfeld der deutschen Heimatschutzbewegung etablierte sich kurz nach 1900 ein formal mehr oder weniger reduzierter Heimatstil als Massstab für Neubauten in der Altstadt. Getreu dieser Position wurden in Zürich im Lauf der 1920er und 30er Jahre zunächst einige vereinzelte Ersatzneubauten realisiert, die mit ihrer architektonischen ‚Anpassung’ an das bestehende Stadtbild die neue Wertschätzung für die Altstadt dokumentierten. Die systematische Ausdehnung dieses Vorgehens auf die ganze Altstadt durch ein 1946 eingerichtetes ‚Büro für Altstadtsanierung’ zeigte, wie die Ersatzbauten in ihrer Summe – durchaus in Übereinstimmung mit zeitgenössischen Intentionen – in einer sukzessiven Überformung des Stadtbilds nach den Massgaben traditionalistischer Architekturvorstellungen resultierten. Nachdem die Altstadt gerade wegen ihrer atmosphärischen Qualitäten zu einem beliebten Wohnviertel geworden war, erfreute sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Rustikale grosser Beliebtheit. Gleichzeitig war zunehmende Abstraktion ein Mittel, im Ersatzneubau eigene Zeitgenossenschaft zu demonstrieren.

 

Dossier 4
Michael Hanak
Weiterbauen und Transformieren
Umbau Gotthardhospiz

Zusammenfassung
Das Alte Hospiz auf dem Gotthardpass durchlief eine wechselvolle Geschichte mit Zerstörungen, Wiederherstellungen und Umwandlungen. Es gilt aufgrund seiner Lage und historischen Bedeutung als erstrangiges Denkmal. In den Jahren 2008 bis 2010 wurde der denkmalgeschützte Bau durch Miller & Maranta grundlegend erneuert. Es gelang, das Alte Hospiz mit der Kapelle in seiner historischen Zeugenschaft zu bewahren und es gleichzeitig in eine neue, seiner Bedeutung gemässe Form zu bringen. Aus dem Weiterbauen am Bestand, mit der Aufstockung und dem neuen inneren Aufbau, resultierte eine authentische Einheit. Die einfühlsame, respektvolle Transformation des Baudenkmals vereinigte wie selbstverständlich Vertrautes und Neuartiges. Nach der Fertigstellung der Umgestaltung erhielt das Alte Hospiz Sankt Gotthard das Europäische Kulturerbe-Siegel, denn es steht als aktualisiertes Denkmal im Mittelpunkt der Schweiz und Europas.

 

Aktuell | Actuel | Attuale
Nicole Bauermeister, Direktorin der GSK
Billet de la direction
Austausch, Einfluss?

 

Impressum | Impressum | Colophon

Preis: CHF 25.00
Preis für GSK Mitglieder: CHF 20.00
Abbildungen: 98
Seitenzahl: 80
Reihe: Kunst + Architektur
Orte / Gemeinden: Schweiz / Suisse / Svizzera
Autoren: Diverse
Artikelnummer: K+A 2015.3
Inhaltssprache: Deutsch, Französisch, Italienisch
Erscheinungsdatum: 04.09.2015
ISBN: 978-3-03797-187-1
Verlag: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte
Bestellungen: über Webshop (www.gsk.ch) oder Buchhandel