k+a 2017.3 Gefängnisbauten

Die speziell für den Entzug der Freiheit gebaute Architektur bietet auf den ersten Blick wenig Erfreuliches. Nicht wenige Bauten des Strafvollzugs – besonders die Bezirksgefängnisse – waren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in Stadttoren, Schlössern oder Klöstern untergebracht, wie die aktuelle Ausgabe von k + a zeigt. Neben diesen umgenutzten Bauten gab sich die Schweiz Mitte des 19. Jahrhunderts aber auch schon äusserst innovativ – etwa mit der Justizvollzugsanstalt im aargauischen Lenzburg, einem Hauptwerk der radialen Gefängnisbauweise. Zur Zeit ihrer Eröffnung im Jahr 1864 war die nach Plänen von Robert Moser errichtete Anstalt das modernste Gefängnis Europas und damit ein Vorzeigebau, der weit über die Landesgrenzen hinaus Interesse weckte. Als diese Einrichtung genau 150 Jahre später um ein neues Zentralgefängnis ergänzt wurde, restaurierte man auch den Altbau: Über den anspruchsvollen denkmalpflegerischen Umgang mit diesem Erbe – und vieles mehr – berichten wir.

Natürlich ist es kein Zufall, dass wir Ihnen anlässlich der Europäischen Tage des Denkmals, die sich am Wochenende des 9. und 10. Septembers 2017 dem Thema «Macht und Pracht» widmen (vgl. Seite 70), einen Einblick in die Architektur und Geschichte von Schweizer Haftanstalten zeigen. Es mag ein ungewöhnlicher Zugang zum Thema sein, dafür aber umso fruchtbarer, denn er zeigt uns nicht nur Orte, welche die allermeisten von uns nie aus eigener Anschauung kennenlernen, sondern illustriert auch Widersprüche unserer offenen Gesellschaft.

 

Essay | Essai | Saggio
Daniel Fink
Prison, architecture pénitentiaire et patrimoine carcéral en Suisse
Les prisons, à l’architecture si particulière, constituent-elles un patrimoine ?

Zusammenfassung
Das Bauerbe der Gefängnisarchitektur in der Schweiz
Das schweizerische Gefängnissystem bestand bis Mitte des 20. Jahrhunderts einerseits aus Gefängnissen, die in existierenden und umgenutzten Gebäuden – Schlössern, Klöstern, Stadttoren, Spitälern, Korn – häusern – eingerichtet worden waren, andererseits aus eigens für diesen Zweck errichteten Strafanstalten. Während die Gefängnisse meist nur geringe Sicherheit boten, selten nach modernen Prinzipien des Freiheitsentzugs organisiert waren und hauptsächlich der Durchführung von Untersuchungshaft dienten, wurden die Anstalten für Strafvollzug auf strahlenförmigem Grundriss, mit Einzel zellen, Überwachungszentralen und Um fassungsmauern erstellt. Strafanstalten und Gefängnisse waren in der Schweiz im Durchschnitt 100 Jahre in Betrieb. In vielen Kantonen wurden die Anstalten um 1900 von der Stadt aufs Land verlegt und zu Strafkolonien, die heute noch am gleichen Standort bestehen und hauptsächlich Landwirtschaft betreiben, wie die Etablissements de la plaine de l’Orbe, die Justizvollzugsanstalt Witzwil und die Etablissements de Bellechasse. Die städtischen Strafanstalten wurden in den meisten Fällen abgerissen. Die Gefängnislandschaft dagegen wurde erst gegen Ende des 20.Jahrhunderts stark modernisiert, viele Bezirksgefängnisse wurden geschlossen und Regional- oder Kantonalgefängnisse eröffnet. Innerhalb von 30 Jahren sank die Zahl der Einrichtungen von über 200 auf etwas über 100. Da viele Bezirksgefängnisse im 20. Jahrhundert immer noch in Schlössern, Klöstern, Stadttoren, Spitälern und Kornhäusern eingerichtet waren, wurden diese mit der Schliessung der Haftorte zu historischen Gebäuden, Gegenstand neuer Beachtung und Pflege im Rahmen der Heimatschutzbewegung. Viele haben mindestens einen Teil ihrer Vergangenheit als Gefängnis bewahrt, ohne dass deren Spuren der Status eines Gefängnisdenkmals zugesprochen worden wäre.

 

Dossier 1
Edith Hunziker
Die Strafanstalt Lenzburg
Hauptwerk der radialen Gefängnisbauweise in der Schweiz

Zusammenfassung
Die nach Plänen von Robert Moser errichtete Strafanstalt im aargauischen Lenzburg war bei ihrer Eröffnung 1864 das architektonisch wie vollzugstechnisch modernste Gefängnis Europas und wurde damit zur Vorzeigeanstalt. In der Schweiz war dieses Gefängnis die grösste Anlage in der als fortschrittlich beurteilten radialen («panoptischen») Bauweise. Heute ist die JVA Lenzburg hierzulande die einzige noch genutzte Anlage dieses Typs. Bei ihrer Konzeption wurde der baulichen Modifizierbarkeit grösste Aufmerksamkeit geschenkt. Dies widerspiegelt die Situation, dass bei Formulierung des Bauprogramms noch keine Einigkeit über das künftig anzuwendende Haftsystem herrschte. 2014 wurde die JVA Lenzburg um ein neues Zentralgefängnis ergänzt. Dem Fünfstern des Altbaus liess man 2015–2017 eine Restaurierung angedeihen, die denkmalpflegerischen Leitlinien folgen, aber auch die Bedürfnisse eines modernen Strafvollzugs berücksichtigen sollte – gelegentlich ein schwieriger Spagat.

 

Dossier 2
Reto Nussbaumer
Denkmalpflege hinter Gittern …
Vom Korrigieren einer «Corrections-Anstalt»

Zusammenfassung
Das Handeln am Denkmal gestaltet sich im heutigen Umfeld nicht immer ganz einfach – viele Ansprüche von Eigentümerinnen, Nutzern und Architektinnen müssen unter einen Hut gebracht werden. Ganz andere Ansprüche und Herausforderungen kommen ins Spiel, wenn eine 150 Jahre alte Justizvollzugsanstalt wie in Lenzburg, die überdies im laufenden Betrieb steht, erweitert und restauriert werden muss. Durch das konstruktive Zusammenspiel sämtlicher am Projekt beteiligter Partner konnten bei der JVA Lenzburg gute Lösungen und Kompromisse gefunden werden. Sie trugen dazu bei, dass der nach seiner Eröffnung 1864 europaweit vielbeachtete Gefängnisbau heute sowohl aus denkmalpflegerischer wie auch aus Sicht des Strafvollzugs absolut zeitgemäss ist. Davon kann man sich sogar selbst überzeugen – im Rahmen spezieller Führungen können die zwei erhalten gebliebenen historischen Zellen von 1864 und von 1957 besichtigt werden.

 

Dossier 3
Katharina Dunst
«Gegen Unglück und Kerker ist niemand gefeit»
Über die Freiheit der Kunst für das Gefängnis

Zusammenfassung
Auf den ersten Blick erscheinen Kunst und Gefängnis als ungleiches Paar. Beide beschäftigen sich jedoch elementar mit der Freiheit. Auf einen einfachen Nenner gebracht, trifft die Freiheit des Geistes auf das Eingesperrtsein des Körpers. Erstaunlich, dass es nicht viel mehr künstlerische Arbeiten in Gefängnissen gibt. Künstler, die sich auf ein Projekt im Zusammenhang mit Strafvollzug einlassen, stehen auf heiklem Terrain, und ihre Arbeiten müssen vielfältigen Anforderungen genügen. Trotz der schwierigen Ausgangslage kann Kunst, gerade im Gefängnis, ihre Kraft, Räume zu öffnen und die Dinge anders zu betrachten, voll entfalten.

 

Fotoessay | Essai photographique | Saggio fotografico
Sechs Beispiele des Fotografen Peter M. Schulthess zeigen die architektonische Vielfalt von Gefängnisbauten und deren
Funktionen.

 

Dossier 4
Simon Baur
Vom Gefängnis zum Hotel ist es nur ein kleiner Schritt

Zusammenfassung
Ehemalige Gefängnisse befinden sich meist an zentraler Lage, heute oft in denkmalgeschützten Gebäuden. Ein Abriss kommt daher in den meisten Fällen nicht in Frage – doch auch die weitere Nutzung dieser Bauten ist eingeschränkt. Drei Beispiele in der Schweiz – der Lohnhof in Basel, Le Pénitencier in Sitten und der Käfigturm in Bern – zeigen, welche Umnutzungen heute möglich sind: als Hotel, Museum und Politforum. Architektonisch drängen sich solche Nutzungen auf, da es nicht einfach ist, die engen Zellen anderen Nutzungen zuzuweisen. Auch wenn an diesen Orten spannende Veranstaltungen und Ausstellungen stattfinden, bleibt ein ambivalentes Verhältnis des Publikums zu diesen Bauten doch weiterbestehen, erinnern sie doch nach wie vor an ihre alten Funktionen, mit denen kaum jemand Positives verbindet.

 

Dossier 5
David Ripoll
De la prison à la banque : itinéraires du chemin de ronde

Zusammenfassung
Vom Gefängnis bis zur Bank: die Wege des Wehrgangs
In Befestigungsanlagen von Städten und in der Architektur alter Burgen sind uns Wehrgänge ein vertrauter Anblick. Zu finden sind sie jedoch auch in Gefängnissen des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Beispiel aus Genf (Samuel Vaucher, 1825) zeigt auf, dass eine Institution, die sich die neusten Erkenntnisse auf ihrem Gebiet zunutze machte – namentlich bezüglich der Überwachung von einem zentralen Punkt aus –, den von den mittelalterlichen Burgen geerbten peripheren Wehrgang durchaus zu integrieren verstand. Dabei ging es nicht mehr darum, Eindringlinge abzuwehren, sondern Fluchtpläne zu verhindern. Damit endet der Weg der Wehrgänge jedoch noch lange nicht, tauchen sie doch Ende des 19. Jahrhunderts, insbesondere in Genf und Lausanne, in der Bankenarchitektur wieder auf. Neue Anwendung, andere Funktion: Hier galt es nicht mehr, Ausbrüche zu verhindern, sondern räuberischen Absichten entgegenzuwirken. Das Ganze spielte sich im Untergeschoss ab, wo sich der Tresorraum und die Kassenschränke der Bank befinden.

 

Dossier 6
Ruedi Elser
Von der Pein im Loch zu Tobel
Oder «… was für jetzt und künftige Zeiten ein ehrenvolles und lobenswertes Denkmal stiftet»

Zusammenfassung
Die ehemalige Strafanstalt Tobel, am Jakobsweg zwischen Konstanz und Fischingen gelegen, repräsentiert ein wesentliches Stück Thurgauer Staatsgeschichte und ist ein Baudenkmal von nationaler Bedeutung. Die Gründung der Kommende Tobel geht auf das Jahr 1228 zurück – als Niederlassung des Johanniterordens. Das Mitte des 16. Jahrhunderts in der Stumpf-Chronik als «herrliche Komturei» erwähnte Landgut erlebt eine wechselvolle Geschichte und wird zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Strafvollzugseinrichtung des jungen Kantons Thurgau umgenutzt. Neben dem Gutsbetrieb prägen eine Weberei, Schusterei, Sägerei und Schreinerei das Leben in der Strafanstalt, die 1973 als «nicht sanierungsfähig» geschlossen wird. 1979 erleidet die Bausubstanz durch den Abbruch mehrerer Gebäude einen massiven Verlust. Ein Verein und eine Stiftung versuchen ab 2004/05, unter dem Motto «Komturei Tobel – wo Generationen sich finden» eine Zukunftsvision für die Bauten zu entwickeln. Beide Initiativen scheitern, der Verein löst sich 2017 auf. Mit Hilfe sanfter Umbauten soll aktuell neuer Wohnraum geschaffen und Substanzerhalt ermöglicht werden.

 

Dossier 7
Luisella Demartini e Daniel Fink
Carcere di ieri, di oggi e di domani
Trasformazione e diversificazione del sistema carcerario nel Canton Ticino

Zusammenfassung
Gefängnisse und deren Wandel im Kanton Tessin
Vom restlichen Teil der Schweiz durch die Alpen abgeschnitten, hat der Grenzkanton Tessin seit je danach gestrebt, über die ganze Vielfalt von Einrichtungen des Freiheitsentzugs selber zu verfügen. Er zielte darauf ab, alle Haftformen auf dem eigenen Gebiet durchführen zu können. Gleich nach seiner Entstehung als Kanton im Jahre 1803 werden die carceri pretoriali in den Bezirken in Betrieb genommen und eine Vollzugseinrichtung im Castello San Michele in Bellin zona eröffnet. Während die Bezirksgefängnisse in Funktion bleiben, wird die Vollzugseinrichtung 1871 durch den Penitenziario cantonale di Lugano ersetzt, der nach der Inbetriebnahme des Penitenziario dello Stato La Stampa, mit neuem Standort in Cadro, 1968 abgerissen wird. 2009 beginnen die Planungsarbeiten für einen stark diversifizierten Neubau, der allerdings erst im nächsten Jahrzehnt entstehen wird. Während in den letzten zwei Jahrhunderten immer wieder versucht wurde, über Haftgebäulichkeiten für alle Formen des Freiheitsentzugs zu verfügen, konnte die Lösung trotz vieler Projekte noch nicht gefunden werden.

 

Aktuell | Actuel | Attuale
Nicole Bauermeister, Direktorin GSK
Billet de la direction
«Macht und Pracht»

 

Aktuell | Actuel | Attuale
Mächtige Bauten – prächtiges Kulturerbe
www.hereinspaziert.ch

 

Focus
Patrick Röösli
Das Unperfekte akzeptieren
Restaurierung einer Gewerbeliegenschaft in Zug

 

KdS | MAH | MAS
Marion Sauter
Die Kunstdenkmäler des Kantons Uri III, Schächental und unteres Reusstal

 

KdS | MAH | MAS
Andreas Bräm
Die Kunstdenkmäler des Kantons Glarus II, Glarus Nord

 

KdS | MAH | MAS
Johanna Strübin, Christine Zürcher, mit Beiträgen von Stefan Blank und Samuel Rutishauser
Die Kunstdenkmäler des Kantons Solothurn IV, Die Stadt Solothurn III, Sakralbauten

 

Pages blanches
Festungsbauten der Schweiz | Fortifications de Suisse

 

Auslandreisen | Voyages à l’étranger | Viaggi all’estero
Côte d’Azur zum Blumenfest
Kunst, Landschaft, Tradition – mit Logis im Negresco

 

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Preis: CHF 25.00

GSK-Mitgliederpreis: CHF 17.00

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Abbildungen: 105
Seitenzahl: 80
Reihe: Kunst + Architektur
Ort: Schweiz / Suisse / Svizzera
Autoren: Diverse
Artikelnummer: K+A-2017.3
Bandnummer: 68.
Jahrgang, 3.2017
Inhaltssprache: Deutsch Französisch Italienisch
Erscheinungsdatum: 04.09.2017
ISBN: 978-3-03797-300-4
Verlag: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte