Unser Themenheft ist unerwartet brisant: Eine der herausragenden Bibliotheksbauten der Moderne in der Schweiz, die Zentralbibliothek in Luzern von Otto Dreyer, ist vom Abbruch bedroht. Der Bau wird im Artikel «Biblioteche del Moderno in Svizzera» von Riccardo Bergossi in dieser Ausgabe gewürdigt. Seit 2011 hatten mehrere Beschlüsse des Luzerner Kantonsrats verlangt, die bereits geplante Sanierung zurückzustellen und stattdessen einen Neubau zu errichten; im April dieses Jahrs wurde die Bedrohung mit einer knapp angenommenen Motion noch akuter. Sie verlangt einen Neubau, der auch das neue Kantonsgericht beherbergen soll – obwohl sowohl die Stadt Luzern wie auch die Fachwelt unisono dagegen sind. Dies hat im November zu aussergewöhnlichen Appellen geführt. So setzt sich der BSA für den Erhalt des Gebäudes ein und lancierte einen Boykottaufruf an seine Mitglieder, nicht am Wettbewerbsverfahren teilzunehmen, denn damit werde auch ein wichtiger Freiraum im dichtesten Teil Luzerns zerstört. «Das Wettbewerbsverfahren soll zum Mittel werden, die Zerstörung eines Baudenkmals zu legitimieren, obschon bereits erwiesen ist, dass dieses beispielhaft erhalten und weiter genutzt werden könnte.» k+a wird diese Kontroverse weiterverfolgen und startet in diesem Heft mit der Rubrik «Focus», in der wir uns kritisch mit Entwicklungen im Umgang mit Baudenkmälern auseinandersetzen. Peter Röllin macht den Anfang mit dem Bericht über die Neugestaltung des Altarraums der Kathedrale St. Gallen. Bibliotheken umgab immer eine Aura des Geheimnisvollen – waren sie doch Beweis für das ewige Streben des Menschen, sich aus räumlichen und zeitlichen Begrenzungen zu erheben. Verlieren wir allmählich diese sinnhafte Spur des Buchs im digitalen Zeitalter? Unsere Autoren sind auch dieser Frage nachgegangen – und haben modernste «Learning Centers» besucht. Ihre spannenden Einsichten finden Sie auf den folgenden Seiten.
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Mascha Bisping
Den Blick schweifen lassen
Interview mit Andreas Tönnesmann zur Architektur von Bibliotheken
Die Bibliothek bringt in der Analyse des Kunsthistorikers Andreas Tönnesmann als Bauaufgabe idealerweise drei Dinge in Einklang: das Licht, den Leser und die Aufstellung der Bücher. Sie sei vor allem ein Ort sozialer Gleichheit und ein Raum für das Abenteuer des Lesens.
Dossier 1
Riccardo Bergossi
Biblioteche del Moderno in Svizzera
Tre esempi realizzati tra gli anni Trenta e gli anni Cinquanta
Zusammenfassung
Bibliotheken der Moderne in der Schweiz
Die Bestrebungen zur Schaffung eines Bundesstaats Schweiz seit Beginn des 19. Jahrhunderts haben zur Geburt der Kantonsbibliotheken geführt. Deren Bestände stammten teils aus älteren Sammlungen (Universitäten, Stadtbibliotheken, aufgehobene Klöster), vor allem aber wurden systematisch die Neuerscheinungen des betreffenden Kantons vereinigt. Die wachsende Zahl der Publikationen hat die Regierungen rasch vor die Notwendigkeit gestellt, geeignete Bauten zu deren Aufnahme zu errichten. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden für die in der Schweiz zu errichtenden Bibliotheken innovative Erkenntnisse zu Brandschutzmassnahmen (klar abgetrennte Lagerräume in Betonkonstruktionen und Metallregale) und Verbesserungen des Kundendienstes umgesetzt.
Der neue Sitz der Nationalbibliothek in Bern, erbaut zwischen 1928 und 1931, war die erste Bibliothek in der Architektursprache der Moderne des Landes. Zehn Jahre später folgte die Biblioteca cantonale in Lugano, 1951 die Zentralbibliothek in Luzern: Diese drei Bauten sind wichtige Stationen der Architektur der Moderne in der Schweiz.
Dossier 2
Katinka Corts
Promesse de ville
Die Maison de l’Ecriture als Arbeits- und Wohnraum für Schreibende
Zusammenfassung
Hinter dem Ort Montricher ist nach den Plänen der Nyoner Architekten Mangeat Wahlen die Maison de l’Ecriture gebaut worden. Das Gebäude ist Bibliothek, Künstlerunterkunft und vieles mehr. Für die Auftraggebenden, Jan und Vera Michalski, haben die Architekten Vincent Mangeat und Pierre Wahlen deren Vision einer Dichterstadt in gebaute Räume übersetzt. Das Haus für das geschriebene Wort befindet sich am Waldrand, hier blickt man über das sanft abfallende Land voller Felder und ist dennoch in Sichtweite zu Lausanne und dem Lac Léman. Gemeinsam mit den Michalskis entwickelten die Architekten das Raumprogramm, das über die Jahre beständig wuchs. Heute finden sich in den Gebäuden eine grosse Bibliothek, Räume für Gemeinschaft und Rückzug, ein Auditorium für Vorträge sowie ein Raum für die Ausstellung von Werken. Ein grosses Betondach überdeckt das Ensemble, das in den nächsten Monaten noch ergänzt wird: Unter das Dach werden «cabanes» eingehängt, in denen Schreibende ein temporäres Zuhause finden. Die ungewöhnliche Gebäudekomposition soll in den kommenden Jahren zu einer kleinen Stadt zusammenwachsen, die Schreibende für eine Zeit beherbergt, in der aber auch öffentliche Lesungen stattfinden und Privatleute die einmalige Bibliothek besuchen.
Dossier 3
Monique Fontannaz
La bibliothèque du château de Coppet
Une réalisation de style Empire dans l’ancien grand salon de Madame de Staël
Zusammenfassung
Die Bibliothek des Schlosses Coppet
Im Laufe der Zeit hat das Schloss Coppet in vielerlei Hinsicht eine führende Rolle gespielt: als Festung im Mittelalter, als luxuriöser Wohnsitz ausländischer Adelsfamilien vom 16. bis ins 18. Jahrhundert oder als Treffpunkt führender europäischer Intellektueller während der Unruhen der Französischen Revolution, als sich Jacques Necker, Bankier und Finanzminister unter Louis XVI, hierher zurückgezogen hatte. Das Schloss befindet sich noch heute im Besitz der Familie Necker und dient als Familiensitz, kulturelles Zentrum und Rahmen für festliche Empfänge.
Jede der erwähnten Epochen hat am Gebäude ihre Spuren hinterlassen. Die intensive literarische Tätigkeit, die sich um 1800 hier entfaltete, findet ihren klarsten Ausdruck im Mobiliar der Bibliothek, die Auguste de Staël im grossen Saal des Erdgeschosses gegen 1820 hatte errichten lassen. Der Bestand ist nicht mehr original, die Möbel sind jedoch mit den für die damalige Zeit charakteristischen, im Empire-Stil gehalten Appliken aus Steinpappe verziert und stammen aus der Manufaktur von Joseph Beunat in Sarrebourg (Lothringen). Die Ausstattung dieses Saals zählt zu den schönsten Empire-Ensembles der Westschweiz.
Dossier 4
Gregory Grämiger
Architektur zwischen Büchern
Die Bibliothek Werner Oechslin in Einsiedeln
Zusammenfassung
Der Architekturhistoriker Werner Oechslin hat zeit seines Lebens eine Vielzahl an Quellentexten zur Geschichte und Theorie der Architektur sowie benachbarten Wissenszweigen gesammelt. Seine Bibliothek konnte 2006 in Einsiedeln in einem Bau von Mario Botta eröffnet werden und ist seither öffentlich zugänglich. Auch die räumliche Ordnung der Bücher innerhalb der Regale stellt eine architektonische Aufgabe dar und zeigt die Wissenssystematik der Büchersammlung auf. Sie ist deshalb mehr als ein blosses Hilfsmittel zum raschen Auffinden der gewünschten Werke, der Raum selbst wird lesbar. Dies unterstützen auch die zahlreichen Zitate aus der Geschichte dieser Bauaufgabe, die den Bau schmücken. Zahlreiche Inschriften, Zeichnungen oder Büsten von Autoren der gesammelten Werke verweisen auf ihre Rolle als Trägerin von Gedanken. In seinen Texten und in der gebauten Bibliothek versteht es Werner Oechslin gekonnt mittels verschiedenster Schriften und Verknüpfungen sein Verständnis des Wesens von Bibliotheken aufzuzeigen.
Dossier 5
Michael Tomaschett
Brandschutz im Benediktinerkloster Engelberg
Besondere Baumassnahmen in den Bibliotheksräumen der Barockzeit
Zusammenfassung
Einen Raum zur Unterbringung der Klosterbibliothek gab es in Engelberg wahrscheinlich bereits im romanischen Gründungsbau. Im 17. Jh. wurde ein neues Bibliotheksgebäude erstellt. Dieser stattliche Einzelkörper südöstlich der Kirche war mehr oder weniger freistehend und in Massivbauweise errichtet. Deshalb wirkte er beim verheerenden Klosterbrand von 1729 für kurze Zeit gleichsam als Kulturgüterschutzraum, und es konnte so ein Grossteil der historischen Bücher- und Archivbestände gerettet werden. Beim anschliessenden Klosterneubau durch den Vorarlberger Johannes Rüeff wurde die Klosterbibliothek in der Verlängerungsachse der Klosterkirche eingerichtet, getrennt durch einen Gang, der als Brandschutzschleuse dient. Im Innern birgt die Barockbibliothek kürzlich freigelegte Dekorationsmalereien bei der Westtüre, den originalen Fussboden sowie ikonografisch rätselhafte Stuckaturen, geschaffen ebenfalls von einem Vorarlberger.
Helvetica
Hanspeter Gschwend
Wiederherstellungschirurgie für Bücher
Restauration der Helvetica aus dem Weimarer Bibliotheksbrand
Zusammenfassung
Durch den Brand der Anna Amalia Bibliothek Weimar im Jahr 2004 wurden über hunderttausend Bücher teils schwer beschädigt, teils völlig verbrannt. Darunter befinden sich 4200 Helvetica, Bücher schweizerischer Herkunft, vor allem Raritäten aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert, Werke von Bodmer, Gessner, Pestalozzi, Zwingli, Calvin, Erasmus, und Paracelsus. Einige tragen aufschlussreiche Randnonitzen berühmter Leser, so das «Chronicon Helveticum» des Glarners Aegidius Tschudi Notizen von Schiller für «Wilhelm Tell». Dank dem Zusammenschluss dreier Schweizer Restaurationsateliers zur Arbeitsgemeinschaft Helvetica und der Gründung des Vereins «Pro Helvetica in Weimar», der sich vor allem der Sponsorensuche widmet, konnten 2200 Schriften ausgewählt und bisher 1235 Einbände restauriert bzw. konserviert und 490 schwer beschädigte sogenannte Aschebücher nach einem von dem Berner Atelier Rothe entwickelten Verfahren restauriert werden. Bisher wurden rund 2 Mio CHF. gespendet, es fehlen noch insgesamt 700 000 CHF.
Dossier 6
André Bideau
Monument für Simulations-Spiele
Gedanken zum Rolex Learning Center an der ETH Lausanne
Zusammenfassung
Vom Bücherspeicher zum Park des Lernens
Vor vier Jahren wurde die bisherige Hauptbibliothek des Campus der EPFL durch das Rolex Learning Center ersetzt. Schon lange vor der Fertigstellung entwickelte sich der siegreiche Wettbewerbsentwurf von Sanaa aus dem Jahr 2004 zur suggestiven Chiffre. Als Drehscheibe übernimmt sie auf dem architekturhistorisch jungen Hochschulgelände zahlreiche Aufgaben, wodurch der Verkehr mit dem physischen Buch in den Hintergrund tritt.
Um Öffentlichkeit herzustellen, setzt das Konzept auf einen Grossraum ohne Wände – ohne sichtbare Hierarchien, abstrakt und antithetisch zur seriellen Robustheit der umliegenden Hochschulbauten der EPFL. Das Gebäudeprogramm wurde auf lediglich einer Ebene verteilt, die mit blasenartigen Innenhöfen und kühnen Verwerfungen zu einer Topographie moduliert ist. Ein expressiver Querschnitt strukturiert die frei fliessenden Beziehungen in diesem Grossraum. Dieser gibt sich als eine von den Benutzern generierte interaktive Landschaft – ein Experiment, das in eine architektonische Parforce-Tour mündete.
KdS | MAH | MAS
GSK feiert Vernissage des KdS-Bandes über das Fürstentum Liechtenstein
Gelungener Anlass mit grossem Publikumsandrang in Eschen
La SSAS presenta il quarto tomo dei MAS dedicati al Ticino
Presentazione del volume sul Distretto di Locarno al Palazzo Morettini
Interview KdS | Interview MAH | Intervista MAS
«Die Kunstdenkmäler der Schweiz»
Jane Bihr-de Salis, Landschaftsarchitektin
Aktuell | Actuel | Attualità
Die Bahnhofhalle Bauma
Zurzeit wird in Bauma eine historische Bahnhofhalle für den Dampfbahn-Verein Zürcher Oberland wiedererrichtet. Diese wird in Zukunft in ihrer ursprünglichen Funktion als Ein- und Aussteigehalle für dampfbetriebene Personenzüge dienen.
Swiss Art To Go
L’architecture suisse sur le bout des doigts
Die GSK präsentiert Schweizer Architektur per Fingertipp
Billet du Président
Die GSK als Ideal der Einheit in der Vielfalt
Focus
Peter Röllin
Himmel ist gelandet
Zur Neugestaltung des Altarraums in der Kathedrale St. Gallen
Impressum | Impressum | Colophon
Preis: CHF 20.00
Preis für GSK Mitglieder: CHF 15.00
Abbildungen: 124
Seitenzahl: 80
Reihe: Kunst + Architektur
Orte / Gemeinden: Schweiz / Suisse / Svizzera
Autoren: Diverse
Artikelnummer: K+A 2013.4
Inhaltssprache: Deutsch, Französisch, Italienisch
Erscheinungsdatum: 12.2013
ISBN: 978-3-03797-096-6
Verlag: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte