Die Geschichte der öffentlichen Bäder und ihrer architektonischen Zeugnisse bietet uns immer auch erhellende Einblicke in gesellschaftliche Veränderungen. Das rasante Wachstum der Städte im 19. Jahrhundert ging einher mit einer allmählich wachsenden Sport- und Naturbegeisterung und dem Bedürfnis nach mehr Körperhygiene und gesunder, «pädagogisch wertvoller» körperlicher Ertüchtigung. Es entstanden geschützte Räume und «Volksbäder », von neugierigen Blicken abgeschirmt – in Zürich beispielsweise zwischen 1837 und 1900 insgesamt zehn geschlechtergetrennte Badhäuser. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts und dem wachsenden Einfluss der Körperkulturbewegung aus Deutschland etablierte sich das Schwimmen als Sportart. In den 1920er und 1930er Jahren schliesslich erlebte die Schweiz mit dem Einsatz von Eisenbeton für die Konstruktion grosser Schwimmbecken einen wahren «Freibad-Bauboom ». Es entsteht eine spezifische Architektur des Schwimmbads, die in den Städten, auf dem Land und selbst in Bergregionen Fuss fasst. Beda Hefti (1897–1981) beispielsweise illustriert diese Blütezeit mit architektonischen Schöpfungen des Neuen Bauens, die Eleganz und Noblesse ausstrahlen: eine Wirkung, die auf dem Zusammenspiel der topographischen Lage und der Vereinnahmung der umgebenden Natur beruht – in bis heute selten erreichter Perfektion. Kommen Sie mit auf eine ganz besondere Reise durch die Geschichte der Schweizer Bäderlandschaft!
Essay | Essai | Saggio
Dave Lüthi
De l’eau et des jeux!
Quelle architecture pour quel bain?
Zusammenfassung
Welche Architektur für welches Bad?
Wer sich mit der Geschichte der öffentlichen Bäder befasst, kommt um jene des Schwimmens nicht herum. Diese von zahlreichen Pädagogen wie Rousseau und Pestalozzi geforderte körperliche Ertüchtigung war vorerst Militärs und Schülern vorbehalten. Nach der Institutionalisierung des Schwimmens zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewinnt diese Sportart immer mehr an Popularität. Die zum Schwimmen notwendigen Bauten treten allerdings eher spät – um 1900 herum – auf und sind oft von einfacher Ausgestaltung: Das Ziel der Architektur bestand damals darin, die Schwimmenden vor den Blicken Neugieriger zu schützen und die Frauen von den Männern abzugrenzen. Erst mit den 1920er Jahren tritt eine spezifische Architektur des Schwimmbads auf, die sich in den Schweizer Städten rasch als einer der Vertreter der Moderne durchsetzt. Beton und Glas prägen die zahlreichen in den 1930er Jahren erstellten Bauten in den Städten, auf dem Land und selbst in Bergregionen.
Dossier 1
Rolf Wirth
Das Strandbad oberhalb St. Gallens
Badeweiher und -bauten in der Ostschweizer Metropole
Zusammenfassung
Auf dem Hochplateau südlich der Stadt St. Gallen befinden sich sieben Weiher. Sie wurden seit dem Mittelalter aufgeschüttet und dienten zuerst der städtischen Feuerbekämpfung und der Bewässerung. Seit 1865 baute die Stadt auch Badehäuser, das erste war für Mädchen bestimmt. Bis heute sind zwei der Weiher für das sommerliche Badevergnügen zugänglich, wobei in einem kostenlos gebadet werden kann, im anderen jedoch ein Eintrittsgeld zu entrichten ist. Ein Teil des Weihers ist nur für weibliche Badegäste bestimmt. Die renovierten Bauten im Schweizerhausstil bezaubern heute genauso wie vor hundert Jahren. Erbaut wurden sie vom damaligen Stadtbaumeister Albert Pfeiffer (1851–1908), der auch schon für das Volksbad in St. Gallen verantwortlich zeichnete, das älteste noch existierende Hallenbad der Schweiz.
Dossier 2
Daria Caverzasio Hug, Simona Martinoli
Il bagno «pompeiano» di Arzo
Zusammenfassung
Das «pompejanische» Bad in Arzo
In den Hügeln des Mendrisiotto liegt das Dorf Arzo, das bereits im Mittelalter durch die nahe gelegenen Marmorsteinbrüche zu einiger Berühmtheit gelangte. In Arzo findet sich eine kleine architektonische Perle, versteckt zwischen Bäumen – und heute leider in einem Zustand kompletter Verwahrlosung: das 1932 vom Architekten Francesco della Casa entworfene «pompejanische» Bad. Es gehört zu den ersten öffentlichen Bädern des Kantons Tessin und geht auf eine Initiative von Ferdinando Bustelli aus Arzo zurück, der in Argentinien zu Vermögen gekommen war. Er beabsichtigte damit, die körperliche und moralische Ertüchtigung der einheimischen Jugend zu fördern und die Region für Sommerfrischler – vor allem aus Italien – attraktiver zu gestalten. Das Bad wird durch den Lauf des Bachs Gaggiolo gespiesen. Unter den öffentlichen Bädern der Schweiz der damaligen Zeit zeichnet es sich durch eine klassische Rhythmisierung und Ausgewogenheit aus, die – übersetzt in eine zeitgemässe Formensprache – eine beinahe «metaphysische» Atmosphäre evoziert.
Dossier 3
Pasquale Zarriello
Ein Jahrzehnt des Wandels
Beda Hefti – vom Neoklassizismus zur Moderne, von Fribourg bis Heiden
Zusammenfassung
Heftis erste Freibäder sind keine ephemeren Architekturen, sie verbreiten vielmehr eine Noblesse, die dieser Baugattung in der Folge nicht mehr eigen sein wird. Die detailreich ausgearbeiteten alpinen Bäder strahlen eine Eleganz aus, die der Bauaufgabe nicht von vornherein zuerkannt wird. Die Ausnutzung der topografischen Lage sowie die Modellierung der Architektur durch die Topografie waren dabei wegweisend. Die Vereinnahmung der Natur ist im schweizerischen Kontext einzigartig. Hefti zeigte mit seiner Arbeitsweise grosse Anpassungsfähigkeit sowohl gegenüber den Auftraggebern, als auch gegenüber den neuen Strömungen im Bäderbau. Sein Frühwerk ist aussergewöhnlich und sticht aus dem Schweizer Bäderkontext deutlich hervor. Die Verdrängung klassischer Formen geschah nicht abrupt und vollumfänglich, sondern kontinuierlich und in Einzelschritten. Standardisierung und Typisierung der Bauaufgabe stehen einer auratischen Einmaligkeit gegenüber.
Interview | Interview | Intervista
Nicola Navone
Il Bagno di Bellinzona di Aurelio Galfetti, Flora Ruchat-Roncati e Ivo Trümpy
Un’intervista ad Aurelio Galfetti
Il Bagno di Bellinzona è giustamente considerato una delle opere maggiori dell’architettura recente in Ticino, da cui emerge con particolare forza quella concezione «territoriale» dell’architettura che ha caratterizzato, e caratterizza tuttora, molti valenti architetti ticinesi e che ha ispirato il programma didattico dell’Accademia di architettura.
Dossier 4
Marcel Just
Der Sprung ins kalte Wasser
Vom ersten gedruckten Schwimmlehrbuch zu den ersten künstlich angelegten Schwimmbädern der Schweiz
Zusammenfassung
Mit der Aufklärung und Rousseaus Ideen wurde die Bade- und Schwimmkultur nach Jahrhunderten der Verweigerung und der Verbote durch Hilfe von Pionierfiguren wieder zurückerobert. Die körperliche Ertüchtigung in jeglicher Form wurde um 1800 über Anleitungen in Lehrbüchern verbreitet und teilweise in Schulen und Vereinen eingeführt. In der Schweiz waren zwei Pioniere an vorderster Front mit dabei: Phokion Heinrich Clias, der zu Gymnastik und Turnkunst publizierte, in Bern einen Turnverein gründete und 1822 in Bern die erste Badeanstalt der Schweiz für den Schwimmunterricht in einem künstlich angelegten Becken ohne Strömung initiierte. Sein Zeitgenosse Emanuel von Fellenberg gründete eine über die Grenzen bekannte Schule für Söhne der höheren Stände wie auch eine Armenschule im Sinne Pestalozzis im Weiler Hofwil bei Münchenbuchsee und setzte sich für ein Erziehungsmodell ein, das neben dem Bildungsprogramm auch die körperliche Ertüchtigung mit einbezog. Nebst einer Turnhalle, ausgerüstet mit Turn- und Sportgeräten, stand den Zöglingen für den Schwimmunterricht auch der 1822/23 erbaute Badeweiher zur Verfügung. Die beiden Schwimm-Anstalten mit künstlich angelegten Becken sind zu den Ersten in Europa zu zählen. Erst Jahrzehnte später, anfangs des 20. Jahrhunderts, wurden – mit dem Einsatz von Beton – grosse Schwimmbassins gebaut.
Helvetica
Olivier Bauermeister
Le nymphée de l’hôtel Besenval
Plaidoyer en faveur de la réhabilitation d’une « curiosité » parisienne unique en son genre
Zusammenfassung
Das Nymphäum im Hôtel Besenval
Die heutige Schweizer Botschaft in Paris wurde 1705 durch Abbé Pierre Chanac de Pompadour erbaut. Der Baron Besenval, Generalinspekteur und Oberstleutnant der Schweizergarde, eine schillernde Persönlichkeit am königlichen Hof, erwarb das Haus 1767 und liess 1782 bedeutende Veränderungen vornehmen, namentlich ein aussergewöhnliches Badezimmer im Untergeschoss, welches das Tout Paris des 18. Jahrhunderts in Entzücken versetzte. Dieses Nymphäum wurde vom berühmten Architekten Alexandre Théodore Brongniart erbaut und vom nicht weniger bekannten Clodion zum Thema der Liebe ausgeschmückt. Der Raum erregte damals sowohl wegen seiner Ausgefallenheit als auch aufgrund der durchdachten Einrichtung und der reichen Ausschmückung grosses Aufsehen und fand sogar Aufnahme im 1786 erschienenen Guide des Amateurs et des étrangers voyageurs à Paris von Thiéry. Das eigentliche Badezimmer, dessen Ausstattung mehrheitlich im Louvre konserviert wird, existiert immer noch, befindet sich jedoch in einem ziemlich schlechten Zustand und wird zurzeit als Abstellraum benutzt. Dieser äusserst seltene Zeuge einer Lebenskunst des 18. Jahrhunderts verdiente es, endlich wieder in Stand gestellt und zur Geltung gebracht zu werden.
Dossier 5
Bettina Richter
Von der androgynen Sportlerin zur verführerischen Venus
Die Frau als Blickfang in Bäderplakaten der 1930er Jahre
Zusammenfassung
Der Bauboom von Volksbädern in den 1930er Jahren fand vor dem Hintergrund eines neuen sozialen Tourismus statt: Der Zugang zu den heimischen Seen und Flüssen sollte allen sozialen Schichten ermöglicht werden. Mit Eröffnung dieser Bäder wurde bald auch das geschlechtergetrennte Baden abgeschafft. Frauen in einteiligen Badeanzügen entwickelten sich zu einem äusserst beliebten Motiv in der Plakatwerbung jener Zeit. Zumeist in einem flächigen, abstrahierenden Malstil erfasst, verkörperten sie einen sportlichen, androgynen Frauentypus. Sie wurden zum Symbol eines veränderten Tourismus, bei dem die aktive Eroberung der Natur im Vordergrund stand. Andere Plakate setzten der modernen Bäderarchitektur jener Zeit ein Denkmal. Einzelne Gestalter nutzten die Bäderwerbung als Legitimation, um der Schönheit des weiblichen Körpers zu huldigen. So erregte Viktor Rutz‘ offen erotisches Plakat 1935 heftigen Anstoss. Seine kurvenreiche Venus von 1948 hingegen, in einen mythologischen Kontext eingebunden, bewegte die Gemüter kaum mehr und zeugt damit auch von einer neu gewonnenen, gesellschaftlichen Freizügigkeit.
KdS | MAH | MAS
Angelica Tschachtli
Das Fürstentum kulturhistorisch neu aufgearbeitet
Im November erscheint ein Kunstdenkmäler-Band über das Unterland des Fürstentums Liechtenstein. Diese Publikation schliesst die dortige Neubearbeitung der Kunstdenkmäler-Inventarisation ab. Ein Rückblick auf den Anfang der Zusammenarbeit zwischen der GSK und dem Historischen Verein für das Fürstentum Liechtenstein und eine Vorschau auf den neuen Band.
Coup de Cœur
Catherine Schmutz Nicod
L’ancienne église paroissiale et priorale Notre-Dame, actuel temple de Nyon
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Das Tessin empfing die GSK mit offenen Armen – ein Rückblick auf die GV in Lugano
13 Jahre nach ihrer letzten Versammlung in Bellinzona kam die GSK für die Durchführung ihrer Generalversammlung wieder ins Tessin – und wurde dort von Politikern, namhaften Rednern, Tessiner GSK-Mitgliedern und den Medien sehr willkommen geheissen. 137 Teilnehmende aus der ganzen Schweiz fanden sich am Veranstaltungsort, der Università della Svizzera italiana in Lugano, ein.
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Generiert Landschaft Kultur?
Festvortrag, gehalten an der Generalversammlung der GSK am 25. Mai 2013 in Lugano
Aktuell | Actuel | Attuale
Billet du président
Die GSK im Zusammenspiel mit dem Bund
La SHAS main dans la main avec la Confédération
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Schweizerische Kunstführer Serie 93
Die erste Serie 2013 der Schweizerischen Kunstführer wird im Sommer an die Abonnentinnen und Abonnenten verschickt. Ein Blick auf die einzelnen Hefte zeigt die Vielfalt der Themen.
Impressum | Impressum | Colophon
Preis: CHF 20.00
Preis für GSK Mitglieder: CHF 15.00
Abbildungen: 117
Seitenzahl: 88
Reihe: Kunst + Architektur
Orte / Gemeinden: Schweiz / Suisse / Svizzera
Autoren: Diverse
Artikelnummer: K+A 2013.2
Inhaltssprache: Deutsch, Französisch, Italienisch
Erscheinungsdatum: 6.2013
ISBN: 978-3-03797-096-6
Verlag: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte